Auch Superhelden kommen in die Jahre. Der beim normalen Menschen
damit verbundene körperliche Abbau manifestiert sich beim kostümtragenden
Verbrechensbekämpfer meist im Auflagenschwund. In diesem Stadium greifen die
Macher dann von finanziellem Kalkül geleitet zu drastischen Maßnahmen; aber
das kennen wir Leser ja zur Genügen. Der Tod und die zweifarbige Zeit Supermans
oder die Querschnittslähmung Batmans zeigen die verlagsübergreifende Notwendigkeit
dieses Einschnitts im Lebenslauf der Sprechblasenhelden.
Auch der Daredevil hat schon so einiges hinter sich gebracht.
Als normaler Held geboren, die Blindheit als Gimmick und seine Radar-Sinne
als Superkraft, glitt der Hörnchenträger ins Metaphysische ab. Als kevlarbeschichteter
Vollstrecker in grafisch exquisiter Manier wurde er zum Verkaufsschlager.
Nun leitet er die Rundum-Erneuerung vieler betagter und auflagenschwacher
Marvel-Titel ein. Jetzt stellt sich natürlich die bange Frage: Was ist dabei
herausgekommen? In Amerika ein Hit!
Daredevil landete in der Top-10 der meistbestellten Titel und
steht momentan auf Platz 9. Warum dieser Erfolg? Zum einen natürlich auf Grund
des Werbeaufwands, den Marvel betrieb. Aber ohne Inhalt bleibt ein Titel nicht
über 15 Wochen in den Top-10 (außer die X-Men vielleicht). Zum anderen ist
es der angesagte Zeichner Quesada. Schon seine eigene Serie Ash
sorgte ja für einiges Aufsehen, jetzt also der Mann im roten Kostüm. Joe zeichnet
einen muskulösen aber dennoch drahtigen Daredevil, ganz nah am Originalkonzept.
Nur von den damals üblichen Ballett-Schuhen hat sich Quesada getrennt und
spendiert Matt Murdock ein Paar ordentliche Stiefel. Ansonsten ganz was man
von Quesada erwarten darf: Übersteigertes Mimenspiel, manchmal ans Komische
grenzende Posen (Black Widow stolziert mit aufgepumtem Vorbau durch die vom
Babysitten verwüstete Wohnung), übersichtlicher Seitenaufbau und ein gekonntes
Spiel mit Licht und Schatten.
Doch
das ist nur die Hälfte des Erfolges. Auch bei der Story vertraute man im Hause
Marvel auf trendige Kost. "Guardian Devil" ist eine funktionierende Mischung
aus altbekannter Superhelden-Kost mit einem ordentlichen Schlag aus der Mysterie-Ecke.
So wie "Sieben" oder "Resurrection" das Krimi-Genre mit Horror-Elementen vermengten,
wird hier Daredevil mit den Mächten von Gut und besonders Böse im klerikalen
Sinn konfrontiert.
Eine 16-jährige Mutter mit ihrem Neugeborenen wird von einem
Auto durch Daredevils Stadt gejagt. Natürlich hilft er der Hilflosen, die
jedoch nach der Rettung spurlos verschwindet. Der nächste Tag ist der Tag
der seltsamen Besuche im Hause Murdock. Zuerst die junge Mutter, die Matt
den Säugling übergibt. Dass es der Heiland sei, und dass ihr ein Engel erzählt
habe, er sei der Daredevil behauptet sie. Harter Tobak für den ohnehin schon
angeschlagenen Anwalt. Denn Matt wurde erst vor kurzem von seiner Freundin
verlassen und befindet sich schon deswegen in einer Krise. Aus dieser Not
heraus greift unser Held zum Telefon, um seine alte Liebschaft Black Widow
anzurufen, legte aber gleich wieder auf. Die im hautengen Kostüm steckende
Russin jedoch ist nicht dumm und stattet ihrem Ex daraufhin einen Besuch ab.
Dass sie als Babysitterin enden würde, hatte sie sich dabei allerdings bestimmt
nicht gedacht. Zu guter Letzt taucht ein alter Mann auf, der Matt bittet,
ihm das Kind auszuhändigen - es sei der Antichrist und müsse getötet werden.
Teufel oder Heiliger, das ist nun die Frage, die Matt beschäftigt.
Die Prophezeihung, in Matts Leben würde durch den Antichristen das Unheil
einziehen, bewahrheitet sich leider nur allzu schnell. Sein Freundin Karen
kommt zurück und konfrontiert ihn mit ihrer Krankheit: Aids. Doch es kommt
noch dicker in Heft zwei: Matts alter Freund Foggy landet im Knast. Eine Klientin
verführt den untersetzten Anwaltskollegen und entpuppt sich laut seiner Aussage
als Dämon, der sich postwendend aus dem Fenster stürzt, um als menschliche
Leiche auf dem Gehweg zu enden. Die Ereignisse überschlagen sich und natürlich
kommt auch die Action nicht zu kurz. Ist Matt in den Fängen des Bösen, wer
ist der Mann im Hintergrund, der seinen Abgang plant?
Mit
Daredevil fängt die "Marvel Knight"-Reihe spannend und vielversprechend
an. Heft Nummer 1 gibt es wie alle übrigen Hefte im "Marvel Knights"-Pack.
Jeden Monat alle Hefte der Knights und ein zum Thema passender Nachdruck.
Im Pack eins ist es die Daredevil Nummer 7, in der Matt zum ersten Mal sein
rotes Kostüm trug. Besonders der Zusatz "Facsimile advertisment - no
longer valid" (Werbungs Nachdruck - Angebot nicht länger gültig)
erinnert mal wieder an das gelobte Land der Rechtsanwälte, wie auch Matt
Murdock einer ist - denn zu schnell wird man in Amerika verklagt, wenn man
trotz Werbung die alte Ware nicht zum alten Preis liefern kann.
Daredevil macht mit seiner Superhelden/Mystik-Mischung und Quesadas
Bilder richtig Spaß und bringt frischen Wind in den Clan der leicht angestaubten
Marvel-Helden. Toller Auftakt der "Marvel Knights"-Reihe.