Wie man schon an den unaussprechlichen Namen erkennt, "Neon Genesis Evangelion"
ist ein waschechter Manga. Alles was Europäer unter Manga verstehen, ist hier vertreten:
Eine Prise Science Fiction, kindhafte Frauen, außerirdische Bedrohungen, viel Action und
viel Herzschmerz. Die Erde wird von den "Engeln" bedroht, riesigen todbringenden
Außerirdischen. Die irdische Antwort sind die EVAs, bio-designte und von menschlichen
Piloten gesteuerte Kampfskelette. Um die Piloten und ihre Probleme mit sich selbst, den
Team-Partnern und den Engeln geht es in dieser Geschichte.
Um
als Rollenmodell fungieren zu können, müssen verschiedene und typisierte Charaktere in
Beziehung treten können (ähnlich der Käuferklassen-Einteilung in der Werbung, die mit
15 Käufermodellen arbeitet). Shinji, der schüchterne pubertierende, Rei, die
verschlossene Einzelgängerin, Soryu, die flapsige Draufgängerin, Gendo der
zurückgezogene Verantwortungsträger, alle haben eines gemeinsam: Wenn sie
zusammenarbeiten müssen, funktionieren sie trotz alle Spannungen und können so jedes
Problem lösen. Das ist die Anforderung, die ein Mensch im überbevölkerten Japan
erfüllen muß: Funktionieren, trotz persönlicher Probleme. Damit diese Botschaft in eine
populäre Story gepackt werden kann, arbeiten viele Redakteure täglich an der Geschichte,
passen die Handlung den schnell wechselnden Vorlieben der Masse an (vgl. Strapazin # 54 Interview mit Cuno Affolter).
Zeichnerisch
ist "Neon Genesis Evangelion" im Gegensatz zu "Sailor Moon" aufgeräumter und übersichtlicher.
Nur in den dynamischen Kampfszenen muß man die Bilder mehrfach anschauen, um zu erkennen,
was passiert. Geschwindigkeits-Striche verwischen die detaillierten Darstellungen der
Kampfanzüge, grelle Lichter blenden große Teile der Bilder aus, die Bildersprache
gleicht in ihrer verwirrenden Schnelligkeit den Eastern-Filmen. Alles sieht blitzblank
aus, selbst die Ruinen nach einem Kampf. Besonders die Protagonisten sind allerliebst:
Manga-typische Kindchen-Schemata zuhauf. Und es funktioniert: Sofort schließt man selbst
die rebellische Soryu ins Herz - nicht zuletzt wegen des kurzen Röckchens und des
knackigen Ausschnitts. Die ersten vier Bände bilden eine Einheit und können, trotz
vieler offener Fragen und sicherer Fortsetzung, als abgeschlossene Geschichte betrachtet
werden.
Mit zwölf Mark und dem schlechtesten Papier (zusammen mit "Dragonball" aus
dem selben Verlag) ausgestattet, könnte man meinen, "Neon Genesis Evangelion"
hätte einen schweren Stand am Markt, doch die tolle Story und die vielen Fans der Filme
sichern dieser Serie den Erfolg. Übrigens wird dieser Comic von hinten nach vorne und von
rechts nach links gelesen (kleiner Tip für Manga-Anfänger...).