Nie war der brave Science-Fiction spannender als bei Yoko Tsuno.
Klar gibt es in der fantastischen Literatur ganze Kerle wie Weltraum Ranger Lucky Star, Conan der Zerstörer oder Rick Deckard, und es gibt auch vereinzelt starke Frauen wie Veronique der Raum-Zeit-Polizei oder Barbarella, aber eine nette Frau als Heldin einer SF-Serie – funktioniert das?
Hier geht es um Yoko Tsuno. Die Japanerin ist eigentlich schon ziemlich alt. Bei uns durfte sie vor 22 Jahren das erste Mal Autofahren und nicht sehr viel später durchquerte sie das Weltall. Aber in jedem ihrer Abenteuer ist sie jugendlich und voller Tatendrang. Nie zeigt sie zu viel Ausschnitt, nie flirtet sie und irgendwie hat man das Gefühl, auf der nächsten Seite hilft die Comic-Heldin einer alten Dame über die Straße. Statt dessen enthüllt sie das Geheimnis der Teufelsorgel oder befreit ein Volk aus der Herrschaft eines verrückt gewordenen Gehirns. Was macht die Faszination dieser durch und durch braven Heldin und ihrer Geschichten aus?
Es begann 1969 als der Zeichner Roger Leloup seine erste eigene Serie zeichnen sollte. Das Magazin „Spirou“ brauchte für sein junges Publikum eine Science-Fiction Serie, der Belgier lieferte ein paar Probeseiten mit einer mechanischen Spinne und bekam den Job. Bis heute sind 24 Alben und einige Kurzgeschichten der Serie erschienen. Der Hamburger Carlsen Verlag widmet seine neueste Gesamtausgabe dieser Serie und überrascht mit einer nicht chronologischen Sortierung der Geschichten.
Zuerst sind die in Deutschland handelnden Geschichten dran. Entlang des Rheins werden wir Leser Zeuge und Entdecker. Wer mal eine Reise in diese schöne Gegend macht, sollte diesen Comic unbedingt mitnehmen, um Leloups Detailtreue zu erleben.
In der Burg Katz sorgt eine Orgel für Unruhe, in Rothenburg besucht unsere Japanerin den Friedhof und beendet eine fast ewige Jugend und auf Burg Eltz findet sie eine alte tödliche Waffe, die ihrer Zeit weit voraus war. Auch diese Geschichten haben fantastische Elemente, so richtig interessant für Science-Fiction-Fans wird es aber im zweiten Band der Gesamtausgabe „Von der Erde nach Vinea“.
Auch im zweiten Band der Gesamtausgabe drei Geschichten, diesmal alle rund um die Menschen des Planeten „Vinea“. Hier lernt sich auch das Helden Trio kennen. Als sich Yoko, Knut und Vic das erste Mal treffen, bricht unsere Heldin in ein Labor ein. Aber die vermeidliche Diebin testet nur eine Alarmanlage. Doch so findet sich das Trio, das während eines Höhlentauchgangs auf die Überlebenden einer untergegangenen Welt. Vinea wurde das Opfer einer stellaren Katastrophe. Seine beiden Sonnen stürzten in einander und sogen den Planeten auf immer engere Bahnen um die Sterne. Unter der Erde rasen unsere Freunde in Magnetbahnen über Magmafelder und kämpfen mit einer zu Bewusstsein gekommenen Energieansammlung. Leloup zeichnet in klaren Linien riesige Raumschiffe und gigantische Anlagen. Natürlich helfen Yoko und ihre Freunde den Aliens, was ihnen aber nicht nur Freund beschert. Im ersten Abenteuer sind die Figuren noch in der Tradition eines Funny-Comics gezeichnet, was etwas mit den äußerst detaillierten Technikdarstellungen kontrastiert.
Als die auf der Erde lebenden Vineaner mit ihrer Technik, Energie aus der Magma zu ziehen, Probleme für die Menschen verursachen und auch selber bekommen, sucht Yokos außerirdische Freundin den Rat der Japanerin. Mit der Hilfe der bekannten Freunde Knut und Vic wird natürlich in kinderverträglicher Weise das Problem gelöst. Unterirdische Pilzwälder, Dinosaurierskelette und futuristische Fluggeräte machen die Geschichte auf für Menschen interessant, die nicht unbedingt jedes Panel einen Mord brauchen, um unterhalten zu sein.
In „Die dritte Sonne von Vinea“ stellt sich heraus, dass Vinea gar nicht so tot ist, wie die Überlebenden auf der Erde vermuten. Die Geschichte nimmt uns Leser mit auf eine einst hochtechnisierte Welt und wieder muss Yoko eine die Unschuldigen versklavende Herrschaft beenden. Raumschiffe, eine fremde Welt, eine Tochter findet ihre Mutter wieder – was wollen wir SF-Fans mit Herz mehr?
Dieser Band bringt auf mehr als 120 Seiten sehr techniklastigen Science-Fiction mit gelegentlichen Actioneinlagen. Waren die redaktionellen Texte im ersten Band gut lesbar, muss man sich hier wegen der kontrastreichen Hintergrundbilder oft sehr anstrengen, wenn man den Text lesen will. Auf zu blutige Szenen wir verzichtet, die Serie zieht mehr aus der Erkundung des Unbekannten seine Spannung. Der feine Druck und die hochwertige Aufmachung als Hardcover mit Lesebändchen machen einen sehr guten Eindruck, alleine beim Preis hätte man sich vielleicht fünf Euro weniger gewünscht. Leider fehlt hier eine Nachbearbeitung der Originale, die Farbfehler der ersten Ausgabe sind immer noch vorhanden. Auch wen die zum Original gehören, Fehler könnten man beheben. Aber jeder Band ist sein Geld wert und wer Yoko Tsuno noch nicht kennt und dessen Gehirn vor lauter sinnfreiem Bombast im Stil einer Comic-Verfilmung wie „300“ nicht mit omnipotenten Machtfantasien verklebt ist, sollte sich die Bände von Yoko Tsunos Gesamtausgabe ansehen.