Pierre Christin hat mit der Reihe „Valerian und Veronique“ den Standard für intelligente und ambitionierte SF-Comic sehr hoch gelegt. Als er zusammen mit Bilal 2001 „Der Sarcophag“ brachte, brachte dieser politische/ökologische Real-Horror mit phantastischen Elementen den Comic sowohl künstlerisch wie auch inhaltlich auf ein neues Niveau. Nun hat sich dieser bewundernswerte Geist mit einem Altmeister des klaren Comics überhaupt zusammengetan und uns „Lenas Reise“ geschenkt. Leider verlangt der Carlsen Verlag dafür etwas mehr, als es der Titel „Geschenk“ zulässt, aber die hier mitzuerlebende Reise ist sein Geld wert.
Vordergründig handelt es sich um die Reise eines Kuriers. Lena transportiert seltsame Sachen in fremde Länder zu seltsamen Leuten. Nicht alle unsympathisch, aber alle seltsam. Es geht vor allem immer halb illegal über Grenzen und in der Mitte des Bandes wird der Verdacht immer klarer: Lena wird wohl ein politisches Attentat möglich machen. Dabei lernen wir über Lena nur, dass sie gerne schwimmt - mehr gibt es über die eher herbe schwarzhaarige Schönheit nicht zu lesen.
Plötzlich ändert sich der Comic und das Attentat wird in den Fokus der Geschichte gerückt. Wo im ersten Teil der Geschichte die Bilder und die Textblöcke den erzählerischen Teil übernehmen, sind es hier die Gespräche. Dem Leser wird der Charakter Lenas immer fragwürdiger. Will Lena das Attentat wirklich unterstützen, ist sie nur willenloser und unmündiger Soldat in einem politischen Ränkespiel? Zwar lehnt sie sich kurz gegen den Zweck ihrer Reise auf, aber lässt es dann doch geschehen.
Dann der Epilog, fast versöhnlich. Mittlerweile hat der Leser dann doch etwas über Lena und ihre Geschichte erfahren und die letzte Sprechblase ist dann mit den Worten „Cmon Lena“ wieder eine einzige Frage nach dem Sinn der ganzen Geschichte.
Christin teilt den Comic in drei separate Geschichten. Zuerst handelt er eine Menge aktueller politischer Brennpunkte fast Checklisten-mäßig ab. BDR/DDR, der Nahe Osten, der Krieg ums Öl, Ökonomie gegen Ökologie ... Hierbei vernachlässigt er vielleicht Chinas Streben zur Wirtschaftsmacht oder Amerikas wieder auferstarkende Imperialistischen Gelüste, aber Christins Liste ist schon so sehr lang. Und trotz der vielen politischen Themen immer wieder menschliche Begegnungen. Kurz sind diese Begegnungen, aber sie scheinen das Wichtigste in diesem Teil der Geschichte zu sein.
Dieser Eindruck verstärkt sich im zweiten Teil. Hier gibt es „Action“. Lenas beginnt zu zweifeln, kann sich aber nicht durchsetzten. Als die Verschwörer zusammenkommen, liegt eine unangenehm gespannte Stimmung über dieser Szene. Auch hier transportieren die Gespräche zwischen den Menschen mehr als den reinen gesprochenen Text. Wer macht was warum? Diese Frage wird aber nur angerissen, dieser Comic stellt mal wieder - wie viele gute Geschichten - mehr Fragen als das er Antworten bringt.
Dann der Epilog. Durch den schon erwähnten letzten Satz deutlich mehrdeutig. Aber das sollte der Leser selbst herausfinden, ob „Lenas Reise“ eine einfache Agenten-Story oder doch etwas mehr ist.
Der Zeichner Julliard ist wie in allen seinen Bildern zurückhaltend, detailliert und eher genau beschreibend denn wertend. Hier ist die ganze Welt sonnig. Egal ob alter Pferdekarren oder Benzin schluckendes Auto - hier gibt es in der Bildersprache keinen Unterschied. Selbst als die Geschichte surreal zu werden droht, und sich Lena im Schatten eines gestrandeten Frachtschiffs auf einen Plastikstuhl setzt, bleibt Julliard nüchtern. Vielleicht hätten Zeichner, die gerne auch im Grafischen die erwähnten Storyteile mit gesonderten Stilen unterstreichen besser gepasst, vielleicht wäre es dann aber auch zu platt geworden. Julliards Bilder sind aber wie immer für sich alleine genommen schon ein Grund, dieses Album zu erwerben.