Wer in America in puncto Comics was neues machen möchte, der hat es schwer. Ein neues Superhelden-Team – bitte nicht. Der Image Verlag hat vor allem in seiner Anfangsphase den Markt mit einer Flutwelle an neuen Kostümen über alten Ideen den Appetit auf so etwas gründlich verdorben. Was soll ein junger Verlag wie Crossgen also machen? Nicht einfach. Aber der momentan schwer angeschlagene Publisher hat eine ganze Zeit aus der Not eine Tugend gemacht und wirklich erfrishende Comic-Ideen verwirklicht. Eine davon ist „Ruse“.
Mit „Baker Street“ gab es schon ein „Sherlock Holmes in anderer Umgebung“ Comic und der Autor Mark Waid versetzte den Batman in „Gotham by Gaslight“ in die Jack the Ripper Zeit. So ganz neu ist also die Idee hinter Ruse nicht, aber es ist lesenswert.
Simon Archard ist ein gefühlloses Meisterhirn. Keine Kleinigkeit entgeht seinem geschulten Blick. In einem Augenblick erkennt er die richtigen Zusammenhänge und löst den Fall. Eiskalt, herzlos und unnahbar. Aber für die menschlichen Züge ist Emma Bishop zuständig. Und sie umgibt ein Geheimnis. Schon auf der fünften Seite des Comcis hält sie die Zeit an, unterhält sich mit einer unsichtbaren Person oder Macht über ein Spiel, bei dem sie ihre Kräfte nicht einsetzten darf, wenn sie das Spiel gewinnen möchte. Mysteriös! Das sie danach einer in den Tod stürzende Person nachspringt, diese fängt und beide mit einem Seil, das Simon ihr nach wirft, rettet, wirkt dagegen fast schon glaubwürdig.
Aber Archard umgibt auch ein Geheimnis. Wer war sein früherer Partner der plötzlich verschwand, und warum spricht er nie über ihn?
Die beiden Hauptpersonen leben in Arcadia. Vieles gleicht hier dem England aus Holmes Zeiten, nur die vielen Gargoyles lassen den Leser erkennen, hier herrschen nicht nur die irdische Gesetzte der Physik. Neben detailliert dargestellten Segelschiffen und Pferdewagen beeindrucken die vielen altertümlichen Gebäude und der Prunk der Inneneinrichtungen. Der Zeichner Butch Guice begeistert endlich wieder mit seinen perfekten Perspektiven und ungewöhnlichen Blickwinkeln. Die meisten Seiten sind als Doppelseiten ausgelegt. Da stört der starre Rücken des deutschen Formates leider den Lesegenuss etwas. In Band zwei muss der Leser einige Seiten lang auf Guice verzichten – Schade.
Doch es schmerzt weit aus mehr zu sehen, wie in den ersten Heften sehr gekonnt eine vielschichtige Geschichte aufgebaut wird, und in den späteren Heften einige Aspekte scheinbar verloren gehen. Erst wird der mysteriöse Hintergrund von Emma noch einmal gepuscht, als mit Mirinda Cross eine ebenfalls mit außergewöhnlichen Kräften versehene Gegenspielerin Archards ins Spiel kommt, dann wird dieser Teil von Emmas Persönlichkeit aber nicht weiter erwähnt.
Dennoch kann dieser Comic gefallen. Geschickt spielt er mit Mystik, Kriminalklishees und Selbstironie. Ein Highlight ist das Cover des dritten Bandes, einfach mal anschauen.Die Serie endet in America mit der Nummer 26, ob geplant oder vom Verlag einfach abgesetzt ist in diesen turbulenten Tagen nicht ganz ganz klar.