Schon wieder ein Manga? Jein - oder besser nein. "Autoroute du Soleil" ist das Werk eines Franzosen, das für den japanischen Markt produziert wurde.

Die Geschichte hat alles, was auch ein guter Road-Movie bieten kann. Sex, Gewalt, ausweglose Situationen und überraschende Wendungen. Baru positioniert seinen Leser durch die kommentierte Vorstellung der verschiedenen Akteure in gespannter Erwartungshaltung. Die realistischen Hintergründe der Personen tun das Ihre, um ein stimmungsvolles Bild aufzubauen. Karim, Franzose nordafrikanischer Herkunft, hat einen Tick mit den Fünfzigern und verdient sich seinen Lebensunterhalt als Gigolo. Alexander ist ein einfacher Junge von der Straße und verehrt den smart auftretenden Karim. Beide leben im französischen Ruhrpott. Auch dort werden die Zechen stillgelegt und die Bewohner kompletteer Landstriche in die Arbeitslosigkeit verabschiedet. In diesem Umfeld haben es rechts außen angesiedelte Politiker wie Doktor Fraussier leicht, die Menschen gegen Minderheiten aufzuhetzten. In einer beliebigen Nacht findet sich auch noch der Industrielle Loiseau auf der Bildfläche ein; zuhause hat der eine keifende Frau, die das Regime über das Geld führt. Die Veranstaltung der Rechten nimmt nicht den geplanten Verlauf: Statt die Arbeiter auf die Straße zu schicken, kommt die Straße rein. Fraussier muss fliehen und kommt so früher nach Hause, als es seiner Frau und Karim lieb sein kann. Der Liebhaber flieht im Auto Loiseaus, der sich gerade von seiner Dame der Nacht bedienen lässt. Im Folgenden geraten Alexander und Karim in eine wilde Geschichte in deren Verlauf sie vor dem immer wahnsinniger werdenden Fraussier fliehen müssen. Der macht die halbe "Front National" mobil, täuscht seinen eigenen Tod vor, kriegt von Truckern, die nicht so "national" sind wie er, sind kräftig die Fresse voll um zum Schluss mit einem Loch im Kopf zu enden. Zwischendrin regelt ein Alt-Hippie seine Drogen- und Geldprobleme, was Karim und Alexander in noch größere Schwierigkeiten bringt. Aber was sind schon Probleme? Alexander findet seine große Liebe. Das Glück darf aber nicht lange währen, der Road-Movie muss schließlich weitergehen.



Eine Menge Geschichte auf einer Menge Seiten. 430 Seiten sind für einen Manga nicht viel: Ein typischer Manga "erzählt" schon mal auf dreißig Seiten, wie ein Schuss fällt - hohe Seitenzahlen sind also nichts ungewöhnliches für den Manga-Fan. Baru ist dagegen seiner französischen Erzählweise treu geblieben und erspart so dem Leser, der eine Geschichte erwartet, solch fast sportlichen Umblätter-Aktionen.
Statt dessen schafft er es, den Leser zu packen. Mit Ausnahme der Passage in der Mitte des Buches, in der der Drogen-Plot anfängt, wird eine so dichte Story erzählt, dass man es nicht schafft, das Buch aus der Hand zu legen.


"Autoroute du Soleil" will kein Sittenbild Frankreichs zeichnen. Dafür sind die Entwicklungen zu übersteigert. Immerhin entwickelt sich Doktor Faurissier vom smarten Kleinstadt-Politiker zum durchgeknallten Mörder. Aber Baru nimmt immer wieder typisch französische Elemente, um seine Geschichte in Szene zu setzten. Straßenschlachten mit der Polizei, menschenleere Dörfer, die "Front National" - trotzdem könnten Kemal und Alexander auch durch Deutschland oder Amerika fliehen.

Barus Bilder sind ambivalent. Die Landschaften und Gegenstände haben oft etwas photorealistisches an sich. Obwohl mit leichtem Strich, haben die Schauplätze gerade genug Detail, um glaubhaft zu sein. Wer nach Frankreich fährt, wird sich einem Gefühl des Déjà-vu nicht entziehen können. Dabei benutzt er oft die Aquarell-Technik, was die Bilder noch mehr wie alte und leicht verschwommene Fotos erscheinen lässt. Die Personen sind dagegen eher Karikaturen: Faurissier hat ein mörderisches Kinn, die Kellnerin aus dem Autobahnrestaurant einen Pinhead-Schädel, riesige Ohren und extrem hervortretende Bierbäuche sind keine Seltenheit und die Gefühlsausbrüche erinnern an "Sailor Moon" - sicher eine Reminiszenz an den japanischen Markt.

Wie schafft es Baru dennoch, eine so geschlossene und funktionierende Einheit zu bilden? Eigentlich fällt dieser Gegensatz beim Lesen gar nicht auf. Erstens ist die Geschichte so packend erzählt, dass die Bilder nur durch ihren Inhalt wirken und nicht durch ihre Form. Zweitens ist Baru in der Bildersprache beeindruckend konsequent. Nicht einmal entgleitet ein Hintergrund ins groteske. Auf der anderen Seite erlaubt es die Karikatur den Personen, wesentlich mehr über sich zu erzählen, als das bei realistisch gezeichneten Figuren der Fall wäre.


Autorout du Soleil ist von vielen Kritikern gelobt worden. Trotzdem ist es extrem gut zu lesen und wahrscheinlich deshalb auch schon fast vergriffen. Wer also ein Road-Movie mit Sprechblasen der Extra-Klasse lesen möchte, sollte sich beeilen - es lohnt sich.




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