Bei der Umsetzung ist ein nicht alltägliches Comic entstanden, in dem es um Menschwerdung
geht.
Dabei sind die Charaktere nicht nur lieb und gut, sondern dürfen durchaus
auch negative Züge haben. Der Leser erlebt einige Augenblicke im Leben eines kleine
Mädchens, das ohne erwachsene Menschen in der Abgelegenheit der Pyrenäen unter der Obhut
eines Bären, eines Fuchses und eines Adlers seinen Platz sucht. Der Bär ist impulsiv,
gütig und immer an der Seite der Kleinen. Gemeinsam erkunden sie nicht nur die Umgebung,
sondern auch verschiedene Gefühle.
Das Hardcover-Album beginnt mit einem Rückblick. Ein Feuer in einem
Zirkus zwingt einen Bären zur Flucht. Auf seinem Weg durch eine vom Krieg gezeichnete
Landschaft trifft er auf ein einsames Kind, das allein in den Trümmern spielt. Zusammen
lernen sie das Leben, wobei der Bär den ruhenden Pol bildet. Pyrenea ist eigensinnig und
impulsiv, ständig auf dem Sprung etwas Neues zu entdecken. Liebe, Respekt vor dem Leben
oder Gefangenschaft sind Themen ihrer Gespräche.
Gleich zu Beginn kann die Geschichte mit einer Szene beeindrucken, in der Bär und
Mädchen nebeneinander auf einem Stein sitzen. "Meinst Du, man könnte uns
verwechseln?". Dieser kleine Ausschnitt macht die Grundstimmung der Geschichte
deutlich. Im zweiten Teil des Albums ist es der Adler, der die Leitfigur übernimmt. Blind
wie er ist, lehrt er das Kind zu sehen.
Die Bilder sind anders als die Story: Einfach lieb. Ein einfacher
Strich, zusammen mit schönen Farben malen eine heile Welt. Selbst die Ketten, die den
Bären gefangen halten, wirken leicht. Die bunten Farben machen immer schönes Wetter,
sogar der Winter lässt es einem warm ums Herz werden. Manche Bilder entfernen sich durch
ihren Kohlezeichnungs-Charakter vom typischen Comic-Bild. Die Zeichnungen wirken eher wie
Kinderbuch-Illustrationen.
In zwei Szenen wird die Geschichte hart, zu Beginn beim Rückblick und später,
als Pyrenea dem Bären aus Trotz die Ketten wieder anlegt. Hier ändert sich kurz der Ton,
den die Bilder sprechen. Sternis lässt die Tiere Grimassen ziehen, lässt sie lächeln
und sich ärgern. So widersprechen sich die Bilder und die Geschichte.
Es bleibt die Frage, wer an diesem Comic seine Freude haben wird. Für
kleine Kinder sind die Gestalten zu echt. Durch die eher realistischen Charaktere mit
guten und bösen Eigenschaften ist es für die ganz jungen Leser eher schwer, Standpunkte
zu erkennen oder zu ergreifen. Für diese Zielgruppe hat diese Geschichte eher den
"Lindenstraßen-Effekt" - gelesen, weggelegt und vergessen. Das begründet sich
nicht in der engagierten Geschichte sondern eher in der Schwierigkeit, das Gelesene zu
verarbeiten, da zu differenziert (eigentlich eine wünschenswerte Eigenschaft von
Geschichten).
Jugendlichen wird die Action fehlen, falls sie trotz des hohen, wenn auch
gerechtfertigten, Preises von knapp 25 Mark zugreifen sollten.
Aufgeschlossene Pädagogen werden diese Geschichte wohl lieben, doch ist der Mensch mit
fortgeschrittenem Alter ab 20 meist nicht mehr in der Lage, sich guten Gedanken, die dem
erlernten Verhalten widersprechen, unterzuordnen.
Für die Produzierenden und Kreativen bleibt die Frage, wie man die Menschwerdung mit
guten Gedanken unterstützen kann, weiterhin schwer zu beantworten.
"Pyrenea" ist ein gut gemeinter und schön gemachter Versuch,
dem man viele Leser wünschen kann.