Moore ist grandios – ohne Frage. Aber warum?
Allan Moore ist ein genialer Autor. In „V for Vendetta“ brachte er den politischen Comic an den Kiosk, sein „Watchmen“ konfrontierte die ersten egoistischen Superhelden mit einer komplexen Geschichte voller interagierender Erzählebenen, die „The League Of Extraordinary Gentlemen“ quillt vor Hinweisen und Zitaten auf die jüngere Kunst- und Unterhaltungskulturgeschichte quasi über und die Anmerkungen zu seinem Jack the Ripper Epos „From Hell“ verquicken historische Fakten mit okkulten Theorien. Moore ist unbestritten ein Autoren-Gott.
Am aktuell erschienen „Lost Girls“ arbeitete er 16 Jahre lang. Die ersten Episoden erschienen schon 1991 im Magazin „Taboo“. Doch diese Veröffentlichungsform erschien Moore für seine Geschichte nicht passend. Schließlich wollte er diesmal wieder ein deutliches Zeichen setzten, und dafür war ein Abdruck in einem wenn auch außergewöhnlichem Magazin nicht ausreichend. Um was geht es also in „Lost Girls“, dass es die vorliegende wunderbar aufwendige Aufmachung benötigt?
Es geht um Sex, den Orgasmus und um Lust und Liebe. Den Superheldencomic hatte er schon vor 20 Jahren des öfteren revolutioniert, aber das echte Leben dreht sich mehr um den Geschlechtstrieb als um die Jagd nach Superverbrechern. Der Comic braucht mehr Porno – so könnte man das Anliegen hinter Moores „Lost Girls“ vielleicht verstehen.
Jetzt gibt es Sex-Heftchen mit Sprechblasen in allen möglichen Ausführungen, aber wenn Moore einen Porno macht, ist das natürlich etwas Besonderes. Das sieht man dem Comic auf den ersten Blick an. Drei übergroße Hardcoverbücher mit Schutzumschlag im Kartonschuber, dass wiegt einiges und sieht edel aus. Doch hat nicht Moores Werk normalerweise seine Stärke im Inhalt? Bevor man sich dem nähern kann, ist man erst einmal vom dicken naturrauhen Papier und den bunten, aber absichtlich nicht knalligen Farben begeistert.
Melinda Gebbies Bilder wirken zu Beginn ungelenk. Fast wie Kinderzeichnungen mit aufwendiger Farbgebung. Auch hier hebt sich Moores Porno von der Darbietung vieler anderer Lustverstärker ab. Natürlich wimmelt es vor Zitaten auf Künstler und Kunststile. Wer möchte, kann also neben kopulierenden Männern und Frauen also auch Kunst entdecken. Aber will man das? „Ahhhh! Oh Gütiger ... ooh“ Moore zitiert neben den von ihm erwarteten Künsten auch wirklich jedes Klischee des Pornos. Da wären die immer bereiten drei Fauen. Bei Moore haben die natürlich literarische Hintergründe, aber vor allem straffe Titten und gespreizte Beine. In vielen Interviews wird darauf hingewiesen, dass auch Frauen diesen Porno gerne haben sollen, also wird an Muschis geleckt bis dann neben den „Alle vögeln Alle“ und „Dumm fickt gut“ Szenen die drei Prachtbände voll sind.
„Ehrlich, das Zeug war überall an mir, trocknete wie Kleber an meinem Kinn und meinen Tittchen. Dauerte nicht lang, und die hatten mir quasi den Verstand rausgevögelt.“ Ob es das ist, was diesen Porno auch den Frauen schmackhaft machen soll? Aber es ist eben Porno wie man ihn kennt. Und Moore hat doch in seinen restlichen Werken gezeigt, das man hinter dem Äußeren den eigentlichen Inhalt erkennen soll. War es bei den „Watchmen“ das Äußere der normale Superheldencomic ist es hier die dem Bücherschrank schmeichelnde Aufmachung und die künstlerischen Grafikübungen in diversen Stilen von Naiv bis Jugendstil. Bei den „Watchmen“ entdeckte man, dass auch Superhelden egoistische Schweine sein können (ein Thema, das Moore danach noch öfter bemühte), bei „Lost Girls“ entdeckt man Moores literarische Zitate und vor allem einen geilen Porno.
„Mmh. Oh, genau das brauche ich“ stöhnen die immergeilen Weiber und die Jungs freuen sich über Ständer im Rektum. Vielleicht ist es ja das, was Frauen sehen wollen. Natürlich gibt es ellenlange Ergüsse über die Wichtigkeit der Lust. Auch wird erklärt, das hier der Sex mit natürlich willigen Minderjährigen reine Fiktion ist und somit unter dem Freibrief der Meinungsfreiheit steht. Und immer wieder beweist Gebbie mit durchkomponierten Bildern, das ihre teils naiven Zeichnungen bewusst unschuldig wirken. Alles ist durchdacht.
Moore liefert hier also einen Porno ab. Das ist gut und geil, den völlig unrepräsentativen weiblichen Testpersonen war es doch zu deutlich normaler Porno – aber die waren auch alle Blond und können so möglicherweise die künstlerische Qualität dieser Titten- und Vötzchenschau nicht erfassen (nur um bei der Lust am Klischee ein weiteres zu bemühen).
„Ich tagträumte, dass sie Mom ist, saugte an ihren großen Titten. Dann sagte Daddy, er will uns Muschi lecken sehen.“ Warum macht Moore so was? Er ist wohl doch ein revolutionärer Althippie, und man könnte in seinem schelmischen Lächeln so etwas wie diebische Freude strahlen sehen, wenn er die deutschen Feuilletons über Sprechblasen wie die hier zitierten in Begeisterung ausbrechen sieht.