Whiteout ist ein Krimi, ein Frauenbuch, ein Buch über Einsamkeit, und dass man oder Frau sich aus den unterschiedlichsten Gründen mit dieser Einsamkeit anfreunden kann. Grec Rucka platziert seine Leichen an den Südpol – da, wo es keine Eisbären gibt. Aber auch Pinguine tauchen in diesem Buch nicht auf, dafür aber einige kaputte Seelen. Ja, Whiteout ist einer von den modernen Krimis, in denen es auch mal nur ums Kochen oder ums Versagen geht. Leichen gibt es in diesen Geschichten auch, aber es werden eben andere Geschichten erzählt, und der Krimi als Geschichte um Morde und deren Gründe tritt in den Hintergrund.
Carrie Stetko ist US-Marshall auf der Südpolstation McMurdo. Eine ihrer ersten Amtshandlungen war ein kräftiger Tritt in ein paar Eier. Das verschaffte ihr den nötigen Respekt, um als Frau in einer Männerdomaine wie einer Eisstation zu überleben. Einer ihrer wenigen Ansprechpartner hier ist der Arzt – eine Parallele zu dem genialen Space Western „Outland“. Die zweite Person, die für Carrie wichtig werden wird, ist die verschlossene Lily Sharpe. Und immer wieder muss man sich fragen, wer ist auf Carries Seite?
Aber es geht hauptsächlich um Emotionen. Die äußern sich umso deutlicher, je drastischer die äußeren Gegebenheiten sind. Minusgrade um 70 Grad Celsius, nichts außer Eis und ein halbes Jahr lang eine nicht enden wollende Nacht – das kann man sich nur schwer vorstellen. Dazu sind die Stationen in den Schnee gekotzte Barackenansammlungen. Zwei Mal schafft es der Comic, diese Welt greifbar zu machen. Einmal sucht Carrie Unterstützung oder nur Informationen in der Massenunterkunft, in der sich die Arbeiter Pornos reinziehen. Doch statt Antworten gibt es nur das Gestöhne aus dem Fernsehapparat und die Stille aufgegeilter Zwangsasketen, die sich beim Anblick Carries über deren Unnahbarkeit ärgern. Da kann man die schlechte Luft fast riechen und die trostlose Leere mit ihrer tödlichen Kälte zwischen den Baracken wird zur Zuflucht. Die zweite beeindruckende Szene gab dem Buch den Namen. Im Schneesturm wird Carrie überfallen und ist dem Tode nah. Was nutzen ihre Sinne, wenn die ganze Welt plötzlich weiß wird? Während sie ziellos durch die blendende Blindheit taumelt, saugt der Sturm ihr die lebensspendende Wärme aus dem Körper.
Am Ende überlebt Carrier den Sturm, die Aktionen ihrer Freunde und die Bevormundung ihres Vorgesetzten und freut sich auf die Nacht.
Es geht hier um Gefühle, aber die werden nicht immer nachfühlbar erzählt. Mehr lieblose Bauten, mehr Schneelandschaft, mehr nicht funktionierende Gespräche hätte die Geschichte noch intensiver machen können. Da helfen die Zeichnungen Liebers nicht wirklich. Der ist nicht ganz so sauber wie Dave Gibbons, aber auch nicht bewusst dreckig wie es ein Bill Sienkiewicz sein kann. So bleibt es bei der Vorstellungskraft des Lesers, aus dem Comic eine wunderbar packende Charakterstudie werden zu lassen. Die Isolation auf dem Pol macht einen großen Anteil an der Faszination der Geschichte aus, aber in die muss man sich hinein versetzten können. Wer das Szenario mag, sollte sich das Buch oder Hörbuch „Weißer Himmel Schwarzes Eis“ besorgen. Diese Geschichte spielt zwar in Alaska, aber auch in der Verfilmung von „Whiteout“ geht Carrie in Nordpolnähe auf Verbrecherjagd.
Ein paar Fragen bleiben offen. Am deutlichsten wird das an der verschwundenen Station der Opfer. Warum wurde die von wem abgebaut und wie abtransportiert? Das Nachwort des Zeichners liest sich ein wenig wie die Schauspielerinterviews in den Kino-Magazinen. Natürlich war es eine wunderbare Fügung, dass der Autor gerade ihn mit dieser wunderbaren Geschichte beschenkte und die Zusammenarbeit war wunderbar - die eigenen Grafiken waren auch irgendwie eine himmlische Eingebung. Ja, so schön kann die Welt sein. Selten hört und liest man was anderes. Da wirken Sätze wie "Jodorowski macht sein Ding, Beltran seins und ich zeichne halt" von Technoväter Zeichner Janjetov oder Adlards "die Akte-X Comics hab ich gemacht, weil es dafür Geld gab" erfrischend anders an.