Wie würde es aussehen, wenn Paul Gulacy und Frank Miller einen dunklen SF-Animationsfilm mit französischem Flair machen wollten? Wie Renaissance!
Die Story ist nicht neu: Ein großer Konzern ohne Skrupel setzt alles daran, um DAS Produkt zu bekommen. Dabei geht „Avalon“ auch über Leichen – doch was haben die an Progerie erkranken Kinder mit der Entführung der natürlich gut aussehenden Wissenschaftlerin Ilona zu tun? Das Wort „natürlich“ deutet es an, diese Geschichte ist voller bekannter Klischees. Da darf die ebenfalls gut aussehende Schwester der Vermissten nicht fehlen und der cineastisch oder zumindest im Groschenroman Bewanderte kann sich nun schon ausmahlen, dass die Schwester im Laufe der Geschichte unter demselben Bettlacken wie der zuständige Kriminologe erwachen wird. Jungs dürfen aber ebenso natürlich auch mal hässlich sein, nur Mädchen nicht.
Muss man sich eine aus so bekannten Story-Elementen zusammengesetzte Geschichte antun? Doofe Frage, man könnte auch fragen „muss man sich neue Lieder anhören, die aus genau denselben drei Akkorden wie 90 % der westlichen Unterhaltungsmusik bestehen?“ oder „muss man noch eine Mahlzeit mit den vom täglichen Essen bekannten Zutaten zu sich nehmen?“ Es kommt wie immer auf die Mischung an. Renaissance ist sehr ordentlich gemachte Unterhaltung. Besonders als Animationsfilm kann diese Geschichte begeistern. Die harten Kontraste à la Sin City mit den unterkühlten Schönheiten aus den Bildern von Paul Gulacy gepaart mit Kamerafahrten, die nur computergenerierte Filme haben können.
Leider fehlen mediumbedingt gerade diese atemberaubenden Perspektivwechsel im Comic, und das fehlt der Geschichte. Die ist nämlich am Ende doch etwas platt. Aber, um das noch einmal zu betonen: unterhaltend!
Im guten Stil von Blade Runner wird hier in stylischem Schwarz/Weiß die Story „Guter Cop gegen den Rest der bösen vom Kommerz gegeißelten Welt“ erzählt. Natürlich wie der erwähnte SF-Klassiker mit moralischem Ende. Doch bis dahin muss man sich den Comic filmisch vorstellen, dann werden die gelegentlichen Ungereimtheiten leichter verständlich. Eine verwirrende Stelle, bei der filmisches Denken nichts nutzt, ist Ilonas Gefängnis. Im Film baut sich die virtuelle Ausstattung ihrer Zelle in einer Sequenz auf, der Comic zeigt die entführte Wissenschaftlerin nur in einer idyllischen Umgebung. Dass es sich um eine Zelle handelt, muss man sich aus einem wagen Hinweis und späteren Bildern selbst zusammenreimen.
Da auf die Daten des Films zurückgegriffen werden konnte, ist die Optik hervorragend. So darf Zweitverwertung gerne aussehen. An dem gelungenen Eindruck hat natürlich auch die bei dem Sujet eher antagonistisch wirkende Fadenheftung und das solide Hardcover ihren positiven Teil.