Neil Gaiman ist Engländer, Lockenkopf und der moderne Märchenonkel. Er erzählt Geschichten – ohne eindeutige Botschaft. Sendungsbewusstsein ist ihm fremd. Und Neil Gaiman spielt mit seinem Werkzeug. Wie auch in seinem vielgerühmten „Sandman" erzählt er in „Mordmysterien" eine Geschichte, die in einer Geschichte erzählte wird. Die Rahmenhandlung ist real, ohne Höhepunkt – beiläufig. Schlechtes Wetter hält einen Engländer in Los Angeles fest. Eine alte Bekannte bläst ihm einen und ein alter Mann erzählt ihm mitten in der Nacht auf einer Parkbank eine Geschichte. Klingt wie Essen in London, es ist da, aber man erinnert sich irgendwie nicht richtig daran. Erinnerung spielt dann aber doch eine unauffällige Hauptrolle in diesem Rahmen für die Geschichte des alten Mannes.
Die scheint das genaue Gegenteil der Rahmenhandlung zu sein. Es geht um Engel und ihre Arbeit im Himmel. Es ist der Beginn des Seins, viele Konzepte müssen noch definiert werden. Eines davon ist „Tod" – mindestens ein emsiger Engel will dieses Phänomen richtig ergründen und es fließt das erste Blut im Himmel. Unser Erzähler nimmt die Rolle des Racheengels ein und muss diese Tat rekonstruieren.
Faktensammeln gegen Erinnerung, der Himmel gegen die Erde, Spannung gegen Tristesse, Inhalt gegen einfach Leben. Gaiman lässt zwei Extremen gegeneinander antreten. Natürlich überlappen sich beide Erzählebenen zum Schluss, bilden eine Einheit und verändern die Aussagen der beiden zuvor eingenständig stehenden Geschichten.
Wer Gaiman kennt, ist dieses Muster gewöhnt. Zu oft hat sich der Autor dieses Musters schon bedient. Das schafft Routine und Perfektion. Wieder ein scheinbarer Gegensatz; bestehen nicht alle Geschichten aus Gegensätzen? Wer Gaiman nicht kennt, muss hier unbedingt zugreifen. Der kleine Hardcover Band ist überschaubar. Ein klarer Vorteil für Gaiman-Neulinge. Zudem sieht der schwarze Einband mit dem lackierten, in rot gehaltenem Engel und dem unschuldigen weißen Titel einfach schön aus.
Ist es der auf dem Klappentext versprochene erste Kriminalfall oder eine Geschichte um Liebe und Schuld, Verantwortung und Vergessen? Auch wenn Gaiman nur Geschichten erzählt, man sollte bei seien Fantasien immer auf der Hut sein. „Dies alles ist wahr" warnt den Leser die erste Zeile, und bei all der Liebe, Gleichgültigkeit, dem Vergessen und der Schuld scheint Gaiman recht zu haben.
Der Zeichner Craig Russell ist für seine oft schwülstigen Comics aus der Fantasy-Ecke bekannt. Seine verspielte Darstellung wirkt wie eine sehr eigenständige Jugendstilinterpretation, seine Männer haben sehr oft etwas Laszives, Schwules. Seine fantastischen, unfassbaren Gebilde verwirren gerne, aber gerade das passt. Wie soll man das Sein des Universums in Bilder fassen? Russel ist die richtige Wahl für den Himmel Teil der Geschichte. Doch in den realen Passagen wirkt Russel sogar besser. Die zweite Comicseite des Bandes ist ein Gedicht. Ein Blick aus einer Autobahnunterführung heraus auf eine Ampelkreuzung unter einem blauen Himmel. Trivial, alltäglich und oft vergessen. Dann am Fuß der Seite ein Weihnachtsmann in vollem Ornat im gleißenden Sonnenschein. Vergessenswertes und oft nicht gesehene Gegensätze, nach dem Lesen der Geschichte bekommt diese Seite eine neue Bedeutung. Warum hat man das nicht schon beim ersten Lesen erkannt? Ist unser Blick schon so flüchtig geworden, das Leben so gewöhnlich geworden – gewöhnlich, alltäglich oder schon störend?
Russel ist wie schon erwähnt eine gute Wahl. Ein Wunsch bleibt aber offen. So gut wie die Bilder die Story unterstützen, vielleicht wären zwei Zeichner besser gewesen. Den Schluss hätten dann beide Zeichner gemeinsam gestalten müssen, so hätte die Vermengung der beiden Ebenen auch in der grafischen Ebene abgebildet werden können.