Für mich wäre es schon fast strafbar – vielleicht auch undankbar - über diese so bewegende Erfahrung mit einer ordentlichen Rezension zu reagieren. Deswegen mal wieder die „das ist ein völlig unobjektiver Kommentar“ Warnmeldung zu Beginn dieses Berichts.
Das erstaunlichste was einem nach dem Lesen eines Buches - oder wie in diesem Fall nach dem Lesen eines Comics - passieren kann, ist, wenn man die Geschichte noch eine Weile in seinem Bauch mit sich herum trägt. Dieses eigentümliche Drücken über dem Zwerchfell, das einem die Gedanken immer wieder zurück zu dem gerade „Erlebten“ zurückbringt.
Über Craig Thompsons Autobiografie ist schon eine Menge geschrieben worden. Vornehmlich wurde sie in den höchsten Tönen gelobt. Hier wird eine fast schon schmerzhaft persönliche Geschichte erzählt. Mit unzählig vielen Bildern (es ist ein Comic, also wäre hier Symbol das richtigere Wort gewesen, aber Bilder passt einfach auf mehrere Arten besser). Mit Rückblicken zur richtigen Zeit, mit Erwähnungen, die es schaffen, ohne übereifrige Analyse zu Verdeutlichen und nicht zu Verurteilen.
Auf dem Comic-Salon in Erlangen begegnete ich bei einer Podiumsdisussion Craig Thompson. Klein und fast zerbrechlich, unscheinbar in einem karierten Hemd. Etwas schüchtern saß er vor einem gespannten Publikum. Ich war eher wegen Jim Lee dort. Wer auf die Idee kam, diese beiden so konträren Typen auf einem Podium zu präsentieren muss wohl entweder nicht bei Sinnen gewesen sein, oder ein Mensch mit fast unvorstellbarer Weitsicht. Denn obwohl die Veranstaltung zuerst den fast unausweichlichen „Hi, ich bin Jim Lee der Starzeichner und stellt bitte auch mal dem wirklich netten Craig Thomason eine Frage“ Weg nehmen wollte, wurde es zu einer wirklich bewegenden Stunde. Natürlich stürtzen sich die Fans auf den Asiaten Lee, der in souveräner Art das Publikum unterhielt. Aber er bemüht sich immer wider, Thompson mit einzubeziehen. Und nach einer halben Stunde war das Eis gebrochen. Plötzlich sprudelte es aus dem zarten Mann hervor. Er redete über seine Jahre in Armut, in denen er von der Armenspeisung lebte, von seinen Eltern, die in ihrem festen Glauben nicht verstanden, warum ein normaler Mensch so viel von sich der Öffentlich preisgeben muss, von seiner gelegentlichen Arbeit für die Comic Industrie und von seinem Traum, seine Geschichte zu erzählen.
Das war so interessant, das ich mir den 600 Seiter auch besorgte. Es dauerte dann noch über zwei Monate, bis ich den dicken Wälzer las. Und er hat mich umgehauen. So persönlich und so aufrichtig, so voller Leben das man beim Lesen miterlebt. Es scheint ohnehin die Zeit der Autobiografien zu sein. Das preisgekrönte „Held“ von Flix ist schon sehr persönlich, aber lockert mit seiner fiktiven Autobiografie über sein zukünftiges Leben den Schlüssellochblick auf. So kommt man ihm nicht zu nahe, nähert sich dem Erzähler nicht in möglicherweise ungebührlicher Manier. „Blankets“ ist ganz anders. Viel intimer. Der Konflikt eines im strengen Glauben erzogenen Menschen beim Erfahren der eigenen Skepsis wird fühlbar zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch. Dabei ist es in keinster Weise ein trockenes Glaubensbekenntnis zum Zweifel an kirchlichen Doktrinen. Vielmehr erlebt man sein eigenes Leben noch einmal. Durch die Nähe zu einem fremden Leben erhält man ein Stück Distanz zu seinem eigenen und beginnt beide miteinander zu vergleichen. Man erkennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Und schon wieder driften meine Gedanken bauchverstärkt ab. Und die erste Liebe. Wen hat das nicht aus den Socken gehauen? Suchen einen Weg, dieses Gefühl zu kanaliesieren. Das Schrieben dieses Berichts ist ein guter Weg.
Manchmal gleiten die Bilder etwas ins ornamentale ab. Aber sechshundert Seiten lassen auch für solche Spielereien genug Platz.
In Erlangen habe ich auch die neue Nummer der Ineinander Reihe mitgenommen. Obwohl wesentlich abstrahierter, kann man auch in diesem deutschen Comic viel persönliches finden. Und das macht neben den vielen unterhaltsamen Abenteuern auch verdammt viel Spaß. Comics sind wie Bücher. Einige sind schön, andere unterhalten oder vermitteln Wissen und wieder andere bewegen und ein paar sind einfach nur Schrott. Blankets ist ein bewegendes Stück Comic, auch wenn ich dieses Wort sicherlich etwas überstrapaziert habe.