Die Erde ohne Übel – das ist ein Ideal, für das es sich lohnt, weit zu gehen. Das gleichnamige Comic nimmt den Leser mit auf so eine Reise.
Eliane Goldschmidt ist eine junge Frau und soll ein Wörterbuch Guarani-Französisch erarbeiten. Während die Wirren des zweiten Weltkrieges die Welt erschüttern, klammert sich die zarte Französin an ihr Tagebuch, einziges Bindeglied zu der zivilisierten Welt.
Es erzählt die Geschichte einer vom Schicksal getriebenen Frau mitten in einer ihr fremden Welt, welche sich ihr nur spärlich erschließt. Ihre anfängliche Rolle als Beobachterin verschwindet immer mehr, je mehr ihr Stamm unter Verfolgung und Vertreibung leiden muss. Es beginnt eine auch emotionale Odyssee, in der sie, einem Korken auf dem Meer gleich, dem geheimnisumwitterten geistigen Führer des Stammes folgt. Nie ein Teil des Volkes, aber schlussendlich eine wichtige Person wider Willens, führt sie die Überbleibsel der Vertriebenen in die unsichere Zukunft in der Zivilisation. Die verwaiste Missionars-Siedlung, die profitablen und umweltschändenden Ölfelder, die Menschen fressende Stadt – Zwischenstationen, die schnell von der Geschichte verschluckt werden.
Wenn ein Volk stirbt gebiert es Götter und Opfer. Fünf Krieger ziehen aus, um nie mehr gefunden zu werden. Eliane erreicht mit einer handvoll Überlebender die Stadt. Hier verliert sie ihre Leute schnell aus den Augen. So ist sie allein mit ihrem eigenen Kind, einem Pflegekind und einer unsicheren Zukunft. Hinter ihr die Scherben eines stolzen und primitiven Volkes.
Wieder sind es die poetischen Bilder Lepages, die den Leser tief in die Geschichte ziehen. Dunkel, Morast und Verfall neben unwirklich schönen Menschen und Stimmungen. Ein Gleichnis für die Gefühlswelt der Protagonistin, die zwischen Hoffnungsschimmern und äußeren Zwängen gefangen ist. Doch sie leiten den Blick nur von einem Text zum anderen, brechen den Fluss an Empfindungen, die entstehen.
Lepage ist ein Meister der Melancholie und des Sturm und Drang im Comic. Neben der eigentlichen Geschichte ist es die Stimmung, die dem Leser bleibt. Dafür ist aber Zeit und Ruhe notwendig, sonst verliert man sich schnell in den unterschiedlichen Eindrücken und man kann den Faden verlieren. Ein bisschen von Corto Malteses Südsee-Ballade, jedoch unvergleichbar feinfühliger und emotionaler.
Ein wirkliches Ende fehlt. Eliane scheint dennoch glücklich. Doch was will die Geschichte sagen? Eine einfache Antwort gibt es nicht. Dazu ist auch zuviel passiert. In einer Realität, die den westlichen Menschen an eine Traumzeit erinnert, die nur gelegentlich und dann schmerzlichen Kontakt mit der Geschichte aus den Geschichtsbüchern hat, die umfassend und unausweichlich den ganzen Menschen einnimmt. Traumhaft schön und brutal, ohne anerzogene Moral. Unheimlich und fremd.