Jack the Ripper lebt! Wenigstens der Mythos ist nicht tot zu kriegen. Die blutige Geschichte um einen Menschen-Schlächter im London der Jahrhundertwende schaffte es immer wieder, erzählt zu werden.
"From Hell" ist aber weder eine schnelle Krimi-Story noch eine erfundene Verschwörungs-Posse mit geschichtlichem Ankerpunkt. Alan Moore versucht anhand historischer Dokumente eine packende Geschichte zu erzählen, die sich sowohl der Verschwörungs-Theorie annimmt, als auch die Grausamkeit des Mörders fast minutiös auflistet.
Von den vielen Quellen werden besonders oft zwei Bücher genannt, welche die Fakten für das hier Erzählte liefern: "Jack the Ripper A – Z" und "Jack the Ripper – The final Solution". Die Fülle an Einzelheiten ist erdrückend und wird in den Anhängen genau elaboriert. Jedes der 14 Kapitel wird von einem dieser mehrseitigen Anhänge begleitet, die jeweils schildern, aus welcher Quelle die Information für fast jedes Bild stammt. Der Eindruck eines Lexikons des Londons jener Zeit lässt sich an manchen Stellen nicht unterdrücken und wird von gelegentlich schwer lesbaren, weil trocken erzählten, Passagen verstärkt.
Doch "From Hell" ist dramaturgisch voll durchgestylt und entwickelt sich im Verlauf der fast 600 Seiten. Zu erst fast unmerklich, dann immer schneller steuert die Geschichte einem Höhepunkt aus Gewalt, Verwirrung und Glauben entgegen. Aber bis dahin muss sich der Leser manchmal durch diesen Comic beißen, der nicht nur gelegentlich schwer im Magen liegt.
Eddie Campbells einfach wirkenden Zeichnungen sind ebenso wie die Story nicht bemüht, die Geschichte schön zu färben. Zum Einen ist "From Hell" nicht farbig, zum Anderen ist der Gesamteindruck düster. Wie im fahlen Licht einer rußigen Öllampe nimmt man Einblick in eine fremde Welt aus Sex, Armut, Prostitution, Königstreue und Freimaurertum.
Die Kunst Campbells, Inhalte in Bildern zu transportieren, seine Meisterschaft auf dem Feld des Comics, werden erst im zweiten Anhang sichtbar - wenn man dann noch die Kraft hat, sie zu sehen. Das liegt wohl in der pedantischen Genauigkeit mit der Moore den Zeichnern Vorgaben diktierte; Herr Platthaus hat diese Präzision im Rahmen des Literarischen Quartetts für Comics bei der letzten Frankfurter Buchmeese anschaulich geschildert. Perspektive, Inhalt, Kleidung und Haltung der Figuren – alles war vorgegeben. Das soll den Zeichner bisweilen frustriert haben. Trotzdem ist das London jener Tage im Comic selten so schmutzig, die Menschen so natürlich hässlich oder schön dargestellt worden wie hier. Die Zeichnungen geraten aber schnell zum reinen Zweck durch die dichte Erzählweise Moores.
Worum geht es eigentlich? Jack the Ripper ist doch hinlänglich bekannt – oder? Nein, Moore zeichnet ein Bild mit vielen neuen Facetten. Die Morde als Auftrag der Königin, benutzt um die Kräfte der weiblichen Magie in London durch das Aufbringen eines blutigen Symbols weiblicher Vergänglichkeit zu bezwingen. Verübt durch einen dem Wahnsinn anheim fallenden königlichen Arzt unter Mithilfe der Freimaurer, die ihre Aufgabe eher in der Vertuschung als in der Verantwortung sehen. Auch ein Sittengemälde der Zeit, in der ein geiler Mob jeden Köder schluckt, der von Marketing-Leuten ausgestreut wird. Kleine Intrigen und Machtkämpfe vor der Kulisse von großen Intrigen und Machtkämpfen. Manchmal scheint es, nur der Preis der Huren habe sich im Laufe der Zeit geändert.
Nebenbei wird ganz leise die Liebesgeschichte des Inspektors Abberline erzählt. Hier mal kein Sex und keine Gewalt, eher hilflose und am Schluss verletzte Gefühle.
Dieser Stoff schreit geradezu nach seiner erneuten Verfilmung, die folgerichtig diesen Sommer in die deutschen Kinos kommt. Hoffentlich bringt das noch einmal einen Pusch für diesen herausragende Comic.