Comics sind belanglose Geschichten mit vielen bunten Bildern auf einer Seite und der Text steht in Sprechblasen und schon deswegen kann das nicht viel sein.
Falsch in allen Teilen – setzen, sechs!
Gegen das oben zitierte Vorurteil muss sich der Comicleser immer wieder zur Wehr setzen. Manchmal wird es von simmel-, king- oder konsalikbelesenen Kulturverfechtern benutzt, was den Wahrheitsgehalt nicht steigert, aber einen gewissen realsatirischen Aspekt nicht verbergen kann.
Nun wollen wir ganz ordentlich, wie in der Schule gelernt, diese Hypothese entkräften. Und als gelungenes Gegenbeispiel benutzten wir das dicke und mit einem würdigen harten Einband versehene Comic "Sharaz-De" des italienischen Zeichners und Geschichtenerzählers Toppi.
"Comics sind" ist allein schon eine fragwürdige Formulierung, da die Palette der in Comics behandelten Genres der der hehren Bücher gleicht. Kein Mensch würde auf die Idee kommen und sagen "Bücher sind belanglos". Es gibt belanglose und unterhaltende Bücher oder informative Bücher oder bewegende Bücher – ebenso sieht es bei den Comics aus.
"... belanglose Geschichten" sind im vorliegenden Band die im Allgemeinen als bekannt geglaubten Geschichten aus tausend und einer Nacht. Aber schon in Buchform gibt es vielerlei Interpretationen des Themas und der Comic steht dieser Vielfalt nicht nach. Da gibt es den Busenfreund Corben mit seiner Action-Version oder Alibaba als kindgerecht aufbereitete Fernsehserien-Umsetzung. Toppi erzählt mystische Geschichten voller poetischer Momente. Gewalt wird nicht zum Selbstzweck degradiert, sondern ist Teil des menschlichen Wesens mit dem umgegangen werden muss. Dabei handeln die Figuren mit einer dem humanistischen Gedanken fremden Konsequenz. Eine eigene Exotik entwickelt sich, da das Umfeld eher afrikanisch denn arabisch anmutet. Die Vermengung dieser drei Aspekte lässt die bekannten Geschichten in einem bislang ungekannten Licht erscheinen, macht sie neu und fordert zur Beschäftigung mit den entstandenen Gefühlen auf. Was kann eine Geschichte mehr leisten?
"... vielen bunten Bildern auf einer Seite ..." Schlägt man den perfekt verarbeiten Band auf, so besticht er zunächst durch die filigranen schwarz/weißen Bilder. Oft gibt es nur ein Panel pro Seite, aber das hat es in sich. Jede Seite ist durchgestylt und besitz eine geschlossene Ruhe. Das ist auch der einzige Nachteil des Comics. Es kommt kein Lesefluss auf. Zum Einen die beschriebene statische Komposition der Bilder aber auch deren grafische Prägnanz. Zu leicht erlaubt man dem Auge, den vielen Linien zu folgen, die scheinbar aus Bruchlinien vieler Mosaiksteinchen entstanden sind. Erst der zweite, manchmal auch erst der dritte Blick enthüllt den ganzen Inhalt des Bildes. Dabei ähnelt ein faltiger Hals eines Ochsen dem Schmuck eines Kriegers. Manche Panels sind als solche gar nicht erkennbar, der Übergang muss vom Betrachter gefunden werden. Und wenn Farbe ins Spiel kommt (es gibt 16 Seiten in Farbe), wird die Verwandtschaft zum Gemälde "Der Kuss" von Klimt unverkennbar.
Okay, der Text steht in Sprechblasen, da mag der "Kritiker" recht bekommen - aber auch mal mitten im Bild – also auch auch diese These nicht nur richtig.